Zielkatalog zur Verbesserung öffentlicher Vergabeverfahren
Die Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber für Planungsleistungen in den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung sind durch eine systematische Ausgrenzung der großen Mehrheit der in Deutschland tätigen Büros gekennzeichnet. Die ‚wettbewerbsinitiative‘ rügt hierbei insbesondere die stetige Verschärfung der Zugangsbedingungen zu diesen Verfahren, sowie die kontinuierliche Verlagerung der eigentlichen Wettbewerbsaufgabe in Richtung intransparenter und manipulationsanfälliger "Vorauswahlverfahren". Die ‚wettbewerbsinitiative‘ sieht hier eine Verletzung wesentlicher Grundsätze der VOF und RPW. Die Gleichbehandlung aller Teilnehmer, das Aufstellen angemessener, transparenter und nichtdiskriminierender Zugangskriterien werden durch die Vergabepraxis öffentlicher Auftraggeber bewusst unterlaufen.
Fakten:
- 85% der deutschen Architekturbüros bestehen aus Einpersonenbüros und kleinen Bürostrukturen mit bis zu 4 Beschäftigten. Eben diese Büros können an den meisten zugangsbeschränkten Wettbewerbsverfahren inzwischen nicht mehr teilnehmen, da die von der öffentlichen Hand gewählten Auswahlkriterien nur noch von einer geringen Anzahl meist großer und etablierter Büros erfüllt werden können.
- Die Mehrzahl aller Bewerbungs- und Auswahlverfahren zu nicht offenen Vergabeverfahren basiert auf einer unangemessenen Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die durch eine systematische Ausgrenzung insbesondere von Berufsanfängern und kleineren Büroorganisationen gekennzeichnet ist.
- Die gegenwärtige Entwicklung verstößt sowohl gegen das Gesetz zur Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) als auch gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
- Die Vorgaben zu Eignungskriterien aus VOF und RPW werden von Seiten öffentlicher Auslober vermehrt missachtet. Politisch motivierte Absicherungen werden hierdurch vor leistungsbezogenen Wettbewerb, Chancengleichheit, Transparenz und Baukultur gestellt. Die eigentlichen Ziele der VOF werden in der Folge massiv untergraben.
Die ‚wettbewerbsinitiative‘ fordert die öffentliche Hand auf, Vergabeverfahren ohne Planungswettbewerb (z.B. reine Verhandlungsverfahren nach VOF) nur noch in zwingend notwendigen Ausnahmefällen zuzulassen.
Die Chancengleichheit zur Teilnahme an einem Planungswettbewerb muss grundsätzlich für jeden Teilnehmer gewährt sein. Der Zugang zu den Verfahren der öffentlichen Hand darf nicht durch unangemessene Eignungskriterien verwehrt werden.
Nicht die Auswahlkriterien zur Teilnahme an einem Wettbewerb sondern die jeweilige Leistung innerhalb des Planungswettbewerbes muss über die Vergabe eines öffentlichen Planungsauftrages entscheiden.
- Vergabeverfahren ohne Planungswettbewerb stellen innerhalb der Planungsdisziplinen nach HOAI kein geeignetes Mittel dar, um eine zukünftige und jeweils projektbezogene Leistungsprognose qualifiziert zu bewerten. Die ‚wettbewerbsinitiative‘ fordert öffentliche Auftraggeber daher auf, Vergabeverfahren ohne Planungswettbewerb (z.B. reine Verhandlungsverfahren nach VOF) nur noch in zwingend notwendigen Fällen zuzulassen.
- Für alle öffentlichen Bauaufgaben, die laut HOAI in der Honorarzone I - III liegen, fordert die ‚wettbewerbsinitiative‘ generell offene Verfahren. Für den Zugang muss die Kammereintragung als Eignungsnachweis grundsätzlich genügen. Sofern die Anzahl der Bewerber die vom Auslober gewünschte Teilnehmerzahl überschreitet, ist die Auswahl des Teilnehmerfelds durch Losentscheid zu treffen.
- Öffentliche Bauaufgaben, die in der HOAI-Honorarzone IV und V liegen, sollen im Regelfall ebenfalls als offene Verfahren durchgeführt werden. Soweit die projektspezifische Aufgabenstellung dabei zwingend höhere Eignungskriterien als die Zulassungsurkunde erfordert, dürfen die Anforderungen zur Teilnahme nur durch projektangemessene Eignungskriterien erhöht werden. Das "Herabsieben" des Teilnehmerfeldes durch übertriebene Eignungskriterien bis zu der vom Auslober gewünschten Teilnehmeranzahl ist unzulässig. Sofern mehr geeignete Bewerber zur Verfügung stehen als die vom Auslober beabsichtigte Zahl, ist die Auswahl der potentiellen Bewerber durch Losentscheid zu treffen.
- Bei Bewerbungsverfahren mit erhöhten Eignungsanforderungen dürfen grundsätzlich nur Referenzen gefordert werden, die sich innerhalb der gleichen Honorarzone bewegen. Die geforderten Referenzen müssen nicht zwangsläufig realisierte Projekte darstellen. Der Nachweis der Leistungsphasen 2-5 soll ausreichend sein. Der Nachweis alternativer Referenzen in dieser Honorarzone muss zulässig sein. Die Abfrage von mehr als einem "Referenzprojekt" ist prinzipiell unangemessen. Referenzen privater Auftraggeber müssen gleichwertig zu Referenzen öffentlicher Auftraggeber bewertet werden.
- Das „Herabsieben“ des Teilnehmerkreises auf die gewünschten Teilnehmerzahlen durch eine Bewertung der „Mehr-Eignung“ (Punktevergabe-Bewertungsmatrix) widerspricht den Grundsätzen der VOF und RPW. Diese Auswahlverfahren müssen aufgrund ihrer Intransparenz und Manipulierbarkeit zukünftig ausgeschlossen werden. Die ‚wettbewerbsinitiative‘ empfiehlt die Bewertung der Eignungskriterien durch "erfüllt/ nicht erfüllt" zu ersetzen. Die diesbezüglichen Entscheidungen sind vom Auslober in jedem Einzelfall eindeutig und nachvollziehbar zu begründen. Sofern mehr geeignete Bewerber zur Verfügung stehen als die vom Auslober beabsichtigte Zahl, ist die Auswahl der potentiellen Bewerber durch Losentscheid zu treffen.
- Die ‚wettbewerbsinitiative‘ fordert die öffentlichen Auftraggeber auf, bei allen Vergabeverfahren nach VOF unter dem Schwellenwert vermehrt direkte Zuladungen von Berufsanfängern und kleineren Büroorganisationen auszusprechen.
‚wettbewerbsinitiative‘ - Berlin, den 06.12.2011